Hemmschwellen überschreiten

Am 13. Februar fand im Begegnungszentrum der Fokolar-Bewegung in Ottmaring der 12. Hospiztag statt. In diesem Jahr ging es um das Thema: „Die Hemmschwelle überwinden - Wege zu spiritueller Begleitung in der Hospizarbeit“. Rund 130 ehrenamtliche und professionelle Hospizmitarbeiter waren zu der Tagung gekommen.

Die Veranstaltung war ein überraschendes Feuerwerk von interessanten Erfahrungen in der Hospizbegleitung, in der jede Episode einzigartig war. Unter dem Leitwort: „Zuhören – Hinsehen – Erspüren“ wurde berichtet, wie es gelungen war, die Hemmschwelle zu übertreten und sich nicht nur den körperlichen Bedürfnissen der Menschen zu widmen, sondern auch den spirituellen, die oft unterschätzt werden. Man traut sich nicht, das Sterben direkt anzusprechen, vor allem die Familien der Kranken haben oft Angst davor und versuchen, so zu tun, als würden die Sterbenden wieder gesund. Davon berichtete einer der drei Referenten, der Krankenhausseelsorger Franz Wezel, Wien, sehr anschaulich und humorvoll: „Wenn der Pfarrer kommt, ist alles aus.“ Fazit: Möglichst spät den Pfarrer rufen, wenn der Patient es gar nicht mehr mitbekommt. Dabei ist es in den meisten Fällen genau umgekehrt. Die Patienten, die ja spüren, dass ihr Leben zu Ende geht, wünschen sich die Begleitung durch den Seelsorger. „Ganz oft, wenn ich zu den Kranken trete, die ich in den meisten Fällen gar nicht kenne und sage: ‚Ich bin der Pfarrer‘ geht ein Strahlen über die bereits gezeichneten Gesichter.“

„Es ist gut, wenn wir eine gewisse Scheu haben, die Schwelle zur spirituellen Begleitung zu übertreten, aus Sorge, dass wir unserem Gesprächspartner zu nahe treten könnten. Aber wir dürfen die Hemmschwelle getrost überschreiten, wenn wir unsere Schritte von dem lenken lassen, den wir betreuen. Er wird uns zeigen, wie weit, wie tief wir in diesen spirituellen Austausch gehen dürfen.“ Das betonte Prof. Dr. Wolfgang Schreml, ehemaliger Chefarzt am Klinikum Günzburg und jetziger Palliativarzt. Er ist der unermüdliche Motor für die Ottmaringer Hospiztage. In einer kurzen und ebenfalls sehr humorvollen Darstellung des Begriffes „Spiritualität“ (Mitunter ist der Sinn von Spiritualität in unserer Zeit so ausgedünnt, dass sich Leute schon für spirituell halten, wenn sie sich für Reiki interessieren und gern Yogitee trinken) machte er deutlich, dass es bei bei spiritueller Betreuung nur darum ging, dem Kranken zu helfen, einen Sinn in seiner Situation zu entdecken: „Es geht um die kleinen Verwandlungen, die von innen kommen.“ Prof. Schreml belegte seine Worte mit eigenen konkreten Erfahrungen in der Hospizarbeit und hatte auch zwei Mitarbeiterinnen vom Raphael Hospiz Verein Günzburg eingeladen, einzelne Aspekte seiner Ausführungen durch konkrete Erlebnisse zu beleuchten. „Bei der Hospizbegleitung kann man kein Programm machen, es gibt keinen Plan, kein Projekt, man muss sich Augenblick für Augenblick führen lassen“.

Mit dieser Aussage kommentierte der Professor den Beitrag der dritten Referentin, Dr. Monika-Maria Wolff aus Zwochau, die von ihrer langjährigen Arbeit im Kongo berichtete. Sie hat ein Hilfswerk für hungernde Kinder auf die Beine gestellt (2.300 Kinder werden heute vom Kindergarten bis zur Berufsschule rundum betreut), ohne Programm, ohne Projektvorgaben, einfach nur Augenblick für Augenblick den Anforderungen des Tages gehorchend: „ Auf einem offenen Feuer kochte unsere Mahlzeit aus Reis und Trockenerbsen. Am Tor drängelte sich eine zerlumpte, hungrige Kinderschar…Das Tor wurde geöffnet, die Mahlzeit geteilt. Niemand von uns ahnte, was daraus einmal werden würde.“

Am Nachmittag war ein Podiumsgespräch mit den Referenten vorgesehen. Doch die Fragen blieben bis auf eine aus. Es war alles klar. Frau Dr. Annette Gerlach aus Ottmaring, von Beruf Psychiaterin und Moderatorin des Gesprächs, schaffte es dennoch, den Referenten auch ohne Fragen weitere Details aus ihrer reichen Erfahrung zu entlocken.

Die Tagung, die mit einer Pantomime der jungen Schweizerin Marilen Fässler begonnen hatte, klang aus mit einer Bildbetrachtung der Künstlerin Edigna Schreml. Die Teilnehmer gingen gestärkt und ermutigt nach Hause: im Kopf vermehrtes Wissen und Einsicht, im Herzen die noch tiefere Überzeugung, auf dem rechten Weg zu sein. (Ulrike Büechl)