Foto:

Wort des Lebens Januar 2020

„Sie waren uns gegenüber ungewöhnlich freundlich.“ (vgl. Apostelgeschichte 28,2)

Nach zweiwöchiger Irrfahrt erreichen 277 Schiffbrüchige die Küste einer Insel im Mittelmeer. Sie sind durchnässt, erschöpft und verängstigt. Angesichts der Naturgewalten haben sie ihre Ohnmacht erfahren und dem Tod ins Auge geschaut. Unter ihnen ist auch ein Strafgefangener, der für seinen Prozess nach Rom überstellt werden soll. Das ist kein Auszug aus aktuellen Nachrichten, sondern die Geschichte des Apostels Paulus auf dem Weg nach Rom. Dort wird er seine Sendung, das Evangelium zu bringen, mit dem Zeugnis des Martyriums krönen. Trotz seiner schwierigen persönlichen Situation schaffte er es, die anderen zu ermutigen und aufzurichten, bis sie strandeten. Er glaubte fest daran, dass Gott ihn nicht verlassen und ihm beistehen würde. Die Bewohner der Insel kamen der Gruppe zu Hilfe, sie entzündeten ein großes Feuer und kümmerten sich um sie. Am Ende des Winters, etwa drei Monate später, versorgten sie sie noch für die Weiterreise.

„Sie waren uns gegenüber ungewöhnlich freundlich.“ (vgl. Apostelgeschichte 28,2)

Paulus und die anderen Schiffbrüchigen erlebten die warmherzige und konkrete Mitmenschlichkeit der Bevölkerung, die das Licht des Evangeliums noch nicht kannte. Sie wurden nicht schnell und unpersönlich abgefertigt, sondern ohne irgendwelche Vorurteile als Gäste aufgenommen. Jeder persönlich und die ganze Gemeinschaft der Inselbewohner war gefragt. Die Fähigkeit der Gastfreundschaft, der Aufnahme eines anderen ist in jedem Menschen grundgelegt. Er ist Geschöpf, das in sich das Bild des barmherzigen Vaters trägt, auch wenn der christliche Glaube noch nicht oder nicht mehr da ist. Sie ist im menschlichen Herzen wie ein Gesetz, das durch das Wort Gottes verstärkt und verstanden wird, seit Abraham(1) bis zur Offenbarung Jesu: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.“(2) Mit seiner Erfahrung lehrt uns Paulus auch, auf das Eingreifen Gottes zu vertrauen und das Gute, das wir durch die konkrete Liebe anderer Menschen auf unserem Weg erfahren, anzuerkennen und wertzuschätzen. Vor allem aber können wir auf die Kraft der Gnade vertrauen: Die Liebe Gottes überwindet unsere Begrenztheit und hilft uns, im Sinne Jesu zu lieben.

„Sie waren uns gegenüber ungewöhnlich freundlich.“ (vgl. Apostelgeschichte 28,2)

Dieser Satz aus der Apostelgeschichte wurde von Christen verschiedener Kirchen aus Malta für die Weltgebetswoche für die Einheit der Christen(3) vorgeschlagen. Diese Gemeinden unterhalten gemeinsam zahlreiche Initiativen für Arme und Einwanderer. Sie verteilen Lebensmittel, Kleidung und Spielzeug für die Kinder und organisieren Sprachunterricht, um die Integration zu erleichtern. In dieser Offenheit und Aufnahmebereitschaft wollen sie noch wachsen und so gleichzeitig die Gemeinschaft unter den Christinnen und Christen unterschiedlicher Kirchen fördern, um den gemeinsamen Glauben zu bezeugen. Und wir, wie geben wir Zeugnis von der Liebe Gottes? Was tun wir, damit Familien in Harmonie leben, in den Städten niemand ausgegrenzt wird und unsere Gesellschaft ein menschliches Gesicht bekommt? Chiara Lubich* macht dazu einen Vorschlag: „Im Beispiel, das uns Jesus gibt, sieht Paulus das geeignetste Mittel, um Vorurteile abzubauen. Jesus hat alle angenommen, ohne Unterschiede zu machen, Juden wie Heiden (...) Wir können unsere Mitmenschen annehmen in ihrer Lebensweise und Andersartigkeit, mit ihren Fehlern und Einstellungen, indem wir ihnen in uns Raum geben und unser Herz freimachen von Voreingenommenheit, Verurteilung und Abneigung (...) Dieses Wort des Lebens sagt uns außerdem, dass wir Gott am meisten Ehre erweisen, wenn wir unsere Mitmenschen annehmen. So schaffen wir nämlich die Grundlage für ein geschwisterliches Miteinander, und nichts ist Gott lieber als die wahre Einheit unter den Menschen. Die Einheit wiederum ruft sozusagen Jesus in unsere Mitte und seine Gegenwart verwandelt alles. Begegnen wir also unseren Mitmenschen mit dem Wunsch, sie aus ganzem Herzen anzunehmen und früher oder später mit ihnen in der gegenseitigen Liebe zu leben.“(4)

Letizia Magri ----

(1) Vgl. Genesis 18,1-16
(2) Matthäus 25,35
(3) Sie wird jedes Jahr begangen, auf der Nordseite der Erde vom 18. bis 25. Januar, auf der Südhälfte zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten.
(4) Chiara Lubich, Kommentar zum Wort des Lebens, Dezember 1986: „Nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes.“ (Römer 15,7)

* 1920 – 2008, Gründerin der Fokolar-Bewegung

 

© Alle Rechte an der deutschen Übersetzung beim Verlag NEUE STADT, München Das „Wort des Lebens“ erscheint auch in der Zeitschrift NEUE STADT. Eine kostenlose Probenummer oder ein Abonnement (jährlich € 40,-) können Sie bestellen bei: Redaktion NEUE STADT, Hainbuchenstraße 4, 86316 Friedberg, redaktion@neuestadt.com